
Nachdem CDU/CSU und SPD ihre Koalitionsverhandlungen am 09. April abgeschlossen haben, sind nun die Gremien bzw. die Mitglieder am Zug. Die CSU hatte bereits am 10. April ihre Zustimmung beschlossen. Am 28. April will die CDU in ihrem Bundesausschuss entscheiden. Bis zum 29. April haben alle Mitglieder der SPD die Möglichkeit, über die Annahme des Koalitionsvertrags abzustimmen. Am 30. April wird das Ergebnis verkündet – dann ist klar, ob die Koalition steht.
Der ausgehandelte Koalitionsvertrag umfasst natürlich zahlreiche Aspekte und an dieser Stelle können und möchten wir nicht alles beleuchten. Es gibt bereits von vielen Organisationen umfangreiche Bewertungen – auch zu Arbeit und Soziales und dem Verkehrssektor.
Die für uns wesentlichen Punkte sind ein fairer Wettbewerb zwischen den Unternehmen der Mobilitätswirtschaft und eine Unterbindung der Ausbeutung von Beschäftigten. Darauf wollen wir uns in der Bewertung fokussieren.
Mindestlohn und Stärkung der Tarifbindung
Seit vielen Jahren kämpft mobifair für gute Beschäftigungsbedingungen und hat schon zahlreiche Tariftreuegesetze begleitet. Bereits in der letzten Legislaturperiode sollte endlich ein Tariftreuegesetz für Vergaben des Bundes kommen; wir haben zusammen mit dem DGB und den Einzelgewerkschaften daran mitgearbeitet. Auch im Koalitionsvertrag bekennen sich die Parteien zu einem solchen Bundestariftreuegesetz für Vergaben ab 50.000 Euro. Das bewerten wir sehr positiv – allerdings kommt es auf die Details an. Wir werden das genau beobachten und uns auch bei der neuen Gesetzesinitiative einbringen. Bedenklich ist jedoch schon jetzt, dass man Bürokratie, Nachweispflichten und Kontrollen auf ein absolutes Minimum begrenzen will. Ohne Kontrolle wird es nicht gehen und Eigenerklärungen von Unternehmen haben sich bereits in der Vergangenheit als praktisch wertlos erwiesen. Für mobifair steht fest, dass wir in diesem Bereich dann noch stärker aufklären und recherchieren müssen, um einen fairen Wettbewerb zu unterstützen und Beschäftigte zu schützen.
Positiv ist ebenfalls das Bekenntnis zum gesetzlichen Mindestlohn. Beabsichtigt ist eine Anhebung auf 15 Euro im Jahr 2026. Doch die Formulierung ist eher vage gehalten – das sehen wir sehr kritisch. Die Inflation und überproportionale Kostensteigerungen bei Mieten und Lebenshaltung treffen gerade Menschen mit geringem Einkommen besonders hart. Aus unserer Sicht führt an einer deutlichen Anhebung des Mindestlohnes kein Weg vorbei.
Nachdenklich stimmt uns der beabsichtigte Wechsel von der täglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit. Natürlich ist das für Beschäftigte im Schichtbetrieb und in der Verkehrsbranche schon lange üblich. Doch weitere Aufweichungen können zu noch mehr Ausnahmen führen, die unmenschliche Arbeitszeiten im Nacht- und Wechseldienst zur Folge haben. Wie gerade dieses Vorhaben zu einer Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf führen soll, ist schleierhaft.
Ebenfalls fraglich ist, was unter einer „unbürokratischen elektronischen Erfassung von Arbeitszeiten“ zu verstehen ist. Gerade im Lokfahrdienst gibt es große Probleme, weil es keine unternehmensübergreifende Erfassung der Arbeit- und Ruhezeiten gibt. Wir vermuten, dass hier in großem Stil – insbesondere von kleinen Unternehmen – die mangelhaften Kontrollen ausgenutzt und die Beschäftigten ausgebeutet werden. Was wir brauchen, ist ein guter Schutz für die Lokführer:innen und die Reisenden sowie alle weiteren Beteiligten. Der Schaden, der durch übermüdete Lokführer:innen entstehen kann, ist immens.
Besserer Schutz für LKW-Fahrer
Als Unterstützer des Vereins Sozialmaut begrüßen wir ausdrücklich, dass im Bereich Arbeitsschutz entsprechende Aussagen getroffen wurden, um die Sozialbedingungen von Berufskraftfahrern zu verbessern. So soll die Sanitärinfrastruktur auf Park- und Rastplätzen an Bundesautobahnen mit kostenfreiem Zugang ausgebaut werden.
Ebenfalls will man attraktivere Rahmenbedingungen für LKW-Fahrer schaffen, wie zum Beispiel gut ausgestattete LKW-Stellplätze und bessere Kontrollen von Sozialstandards. So weit so gut – aber das muss auch zügig und zuverlässig umgesetzt werden.
Im Koalitionsvertrag findet sich an anderer Stelle eine lobenswerte, aber aus unserer Sicht nicht ausreichende Antwort: Um die Beschäftigungsbedingungen für entsendete Beschäftigte aus anderen EU-Mitgliedstaaten zu schützen, aber auch zum Schutz der inländischen Beschäftigten gegen Lohndumping, legt der Koalitionsvertrag fest: Das Beratungsangebot „Faire Mobilität“ wird gestärkt und finanziell angemessen ausgestattet. Auch auf EU-Ebene unterstützen wir den Aufbau eines EU-weiten Beratungsnetzwerkes. Ebenfalls soll die Einführung eines elektronischen Europäischen Sozialversicherungsausweises mit digitaler EU-Identität unterstützt werden.
Bedenklich finden wir allerdings folgende Passage: „Dem Fahrermangel wirken wir entgegen durch eine Reform der Berufskraftfahrerqualifikation.“ Das suggeriert eine Absenkung von Standards, die mobifair sehr kritisch sieht. Gute Ausbildung ist durch nichts zu ersetzen!
Das Ziel muss aus unserer Sicht sein, die jetzige Ausbeutung von LKW-Fahrern wirkungsvoll zu verhindern und die gewerbsmäßigen und mafiösen Strukturen einiger Speditionen sowie die Manipulation ganzer LKW-Flotten endlich zu unterbinden. Das hilft nicht nur den betroffenen Fahrern, sondern bekämpft auch den unfairen Wettbewerb zulasten der Schiene – damit muss endlich Schluss sein.
Eisenbahn und ÖPNV
Die Themen Eisenbahn und ÖPNV haben bei uns natürlich ebenfalls einen hohen Stellenwert. Im Vorfeld der Bundestagswahlen – und angesichts der mangelhaften Eisenbahninfrastruktur – stand die Deutsche Bahn AG, besser gesagt DB InfraGO, bereits längere Zeit im öffentlichen Kreuzfeuer. Als Generallösung wurde von Vielen die Trennung von Netz und Betrieb gefordert. Was dadurch besser werden sollte, dazu gab es aus Sicht von mobifair nur ideologische Glaubenssätze, aber keine sachlichen oder fachlichen Argumente. Dabei liegen die Fehler der Vergangenheit auf der Hand: zu wenig Investitionen in die vorhandenen Schienenwege und zu wenig Geld für den notwendigen Ausbau zur dringend erforderlichen Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene sowie für den Kapazitätszuwachs im Personenverkehr.
Nun wurde im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass der Integrierte Bahnkonzern erhalten bleibt. Die sinnfreie Aufspaltung bleibt uns erspart.
Die geplante „Entflechtung“ des Konzerns lässt jedoch viele Fragen offen. Auch zur Zukunft von DB Cargo gibt es nur vage Aussagen. Wenn gesagt wird, „für DB Cargo prüfen wir, wie ihre Marktfähigkeit kurzfristig wieder hergestellt werden kann“, dann ist das aus Sicht von mobifair ist es völlig ungenügend. Wir brauchen ein klares Bekenntnis zum Einzelwagenverkehr – und den führt fast ausschließlich DB Cargo durch. Es ist schockierend, wie gleichgültig manche Führungskraft innerhalb des DB-Konzerns und zahlreiche Politiker damit umgehen. Das würde natürlich auch eine Konfrontation mit der EU bedeuten, da das Beihilferecht keine übergeordneten Ziele wie Klimaschutz anerkennt.
Positiv ist, dass ein Eisenbahninfrastrukturfonds geschaffen werden soll, der zuverlässig Mittel bereitstellt. Konkret wird eine überjährige, flexible und verlässliche Finanzierung garantiert. Damit gibt es mehr Geld für die Schiene und eine bessere Planbarkeit für die Eisenbahnindustrie. Wir hoffen allerdings, dass die Mittel in Absprache mit allen Beteiligten klug eingesetzt werden, damit steigende Preise den Zuwachs nicht wieder auffressen. Ebenso hoffen wir, dass nun rasch die Planungen für Baumaßnahmen umgesetzt werden können, damit die Sanierung und Ertüchtigung der Schiene ohne weitere Verzögerungen erfolgt. Es wird trotzdem noch viele Jahre dauern, bis die notwendige Leistungsfähigkeit der Schiene zur Einhaltung der Klimaschutzziele erreicht ist.
Auch über das bereits beschlossene Sondervermögen des Bundes soll Geld in die Eisenbahninfrastruktur fließen. mobifair ist allerdings noch nicht klar, wie diese Mittel investiert werden sollen. Auch bereitet uns noch Sorgen, dass Projekte mit Anteilen privater Investoren (ÖPP) finanziert werden sollen. Es gibt allerdings auch in Deutschland schon einige Beispiele hierfür. Doch privates Geld verlangt auch Dividenden und bei der Eisenbahninfrastruktur sollte jedoch der Nutzen für die Öffentlichkeit im Vordergrund stehen, nicht der Profit privater Investoren.
Zur Finanzierung des Nahverkehrs auf der Schiene und der Straße finden wir zwei wichtige Aussagen im Koalitionsvertrag. Zur Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) werden Bund und Länder die ÖPNV Finanzierung auf eine neue gesetzliche Grundlage stellen und einen Modernisierungspakt starten. Die Regionalisierungsmittel sollen vorrangig als Bestellmittel für den Schienenpersonennahverkehr genutzt werden. Wir werden den Status quo sichern, steigende Kosten auffangen und Spielräume für neue Verkehre schaffen. Die Dynamisierung werden wir anpassen.
All das beinhaltet wichtige Aussagen. Es wird klargestellt, dass die Regionalisierungsmittel für die Schiene genutzt werden sollen und erstmalig eine separate, dringend notwendige und hoffentlich verlässliche Finanzierung der Bus-, Straßenbahn- und U-Bahnverkehre in den Städten sowie im ländlichen Raum geschaffen wird. Das ist auch dringend notwendig. So gut das Deutschlandticket für die Nutzer auch ist, es hat den ÖPNV vor große Herausforderungen gestellt. Ohne diese wichtigen Zusagen müssten Leistungen gekürzt werden – auf der Schiene wie auf der Straße.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
natürlich gibt es noch viele weitere Aspekte, zu denen wir Stellung nehmen könnten. Doch wenn die Koalition zustande kommt, werden wir sicherlich zu den einzelnen Themen in den kommenden Jahren noch viel konkreter berichten können. Wir wünschen uns für die kommenden vier Jahre nun eine stabile Regierung, die mit hoffentlich kalkulierbaren Rahmenbedingungen in Deutschland, Europa und auch global die Aussagen in diesem Koalitionsvertrag umsetzt. Denn aus Sicht von mobifair überwiegen die positiven Aussagen deutlich. Vieles zeigt aber auch, dass wir starke Gewerkschaften und Verbände brauchen, um die Sozialstandards zu schützen und die Arbeitsbedingungen in Deutschland weiter zu verbessern. mobifair reiht sich hier gerne ein und wir werden weiter wachsam sein.