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Beim diesjährigen Treff.SchienenNah, einer Branchenkonferenz des Bundesverbands Schienennahverkehr (BSN) mit über 400 Teilnehmer*innen, darunter auch mobifair, waren zwei Wörter auffallend häufig zu hören: „Wendepunkt“ und „gemeinsam“. Der ÖPNV und der Ausschreibungswettbewerb, aber auch die gesamte Schienenbranche, sei an einem kritischen Wendepunkt angekommen. Das zeige sich an sinkenden Bieterzahlen bei Vergabeverfahren, erheblichen Infrastrukturmängeln, steigenden Pönalen und einer mangelnden Finanzierung angesichts der Kostenexplosion der letzten Jahre. Die Lösungen für diese Probleme seien jedoch nur gemeinsam möglich – und gingen weit über die Grenzen des ÖPNV/SPNV hinaus. Daher wurden zwei Papiere mit Forderungen vorgestellt, die von mehreren großen Verbänden der Branche gemeinsam erarbeitet wurden.
So fordern der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), der BSN und mofair eine langfristige Sicherung und eine nachfrageorientierte Einnahmeaufteilung beim Deutschlandticket, das laut Ingo Wortmann, Präsident des VDV, „systemrelevant geworden“ ist. Es habe bereits zu einer deutlichen Vereinfachung und Straffung der Tariflandschaft beigetragen. Diese müsse aber durch die Schaffung eines „Deutschlandtarifsystems“ weiter vorangetrieben werden, ebenso wie die Digitalisierung des Vertriebs, z.B. durch die Einführung einer neutralen Ticket-App.
Für den ÖPNV schlagen die drei Verbände eine stärkere Vereinheitlichung vor, z.B. bei Fahrzeugen, Vergabeverfahren und Verkehrsverträgen. Diskutiert wurde auch darüber, ob in den Verkehrsverträgen künftig wieder mehr unternehmerischer Spielraum und mehr Anpassungsmöglichkeiten während der Vertragslaufzeit vorgesehen sein sollten, um auf Veränderungen flexibler reagieren zu können. In der Anfangszeit des Ausschreibungswettbewerbs waren die Verkehrsverträge noch sehr schlank, wurden aber im Laufe der Zeit immer konkreter und komplexer und füllen jetzt mehrere Ordner. Nun werden wieder Rufe nach Vereinfachung lauter, weil die Unternehmen nur noch wenig Gestaltungsspielraum haben.
Auch die Organisationstrukturen sollten aus Sicht der drei Verbände verschlankt werden, sodass es am Ende weniger Aufgabenträger gibt, die dann auch einheitlicher funktionieren. Über eine solche Zusammenlegung wird derzeit in Nordrhein-Westfalen diskutiert, wo es drei SPNV-Aufgabenträger gibt.
Sehr großen Raum nimmt auch das Thema Infrastruktur ein. Diese müsse umfassend saniert und ausgebaut werden, wozu eine langfristige, verbindliche und höhere Finanzierung nötig sei, z.B. durch einen überjährigen Infrastrukturfonds anstelle der jetzigen jährlichen Finanzierung je nach Kassenlage des Bundes. „Eisenbahn funktioniert nicht, wenn sie eine Mangelwirtschaft ist“, brachte es Dr. Philipp Nagel, Vorstandsvorsitzender DB InfraGO AG, auf den Punkt. Außerdem sei es notwendig, dass der Bund unmittelbar auf die Schieneninfrastruktur Einfluss nehmen könne und einen verbindlichen Infrastrukturplan vorlege, der die Grundlage bildet. DB infraGO wäre dann sozusagen der Auftragnehmer und der Bund der Besteller der Infrastruktur, wie es Dr. Tobias Heinemann, Konzernbeauftragter Gemeinwohlorientierung der DB AG, sinngemäß erläuterte. Nicht zuletzt dürften Investitionen in die Infrastruktur nicht zu einer Erhöhung der Trassenpreise führen, so die Forderung der drei Verbände.
Angesichts der von einigen Seiten, z.B. CDU/CSU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, immer lauter vorgetragenen Forderung nach einer Zerschlagung der DB fand Sören Bartol, Parlamentarischer Staatssekretär (SPD), deutliche Worte, denen mobifair nur zustimmen kann: „Wenn wir uns in den nächsten vier Jahren in dieser Diskussion verlieren, sind die nächsten vier Jahre für die Schiene verloren.“
Die Beschäftigten nicht vergessen!
Insgesamt hält mobifair die Analyse der jetzigen Situation im ÖPNV, wie sie bei der Konferenz vorgestellt wurde, in weiten Teilen für zutreffend und unterstützt auch die Mehrheit der Forderungen. Allerdings kommt das Thema Personal und Beschäftigungsbedingungen weiterhin viel zu kurz. Dabei hat eine Befragung des Publikums ergeben, dass das Personal als entscheidend für den Wettbewerb angesehen wird. Von den Teilnehmer*innen der Podiumsdiskussion wurde es dagegen meist nicht an der Spitze der Rangfolge gesehen. Erfreulich deutlich waren die Worte von BSN-Geschäftsführer Jan Görnemann, der sagte, dass die letzten Jahre auf dem Rücken der Beschäftigten stattgefunden haben und die Branche sich teilweise eingestehen muss, dass sie sich etwas vorgemacht hat.
Daraus muss sie aus Sicht von mobifair jetzt endlich die richtigen Konsequenzen ziehen und die Beschäftigten in den Fokus rücken. Die Menschen, die in fast 30 Jahren seit Beginn der Liberalisierung allen Widrigkeiten und Fehlentwicklungen zum Trotz den Verkehr am Laufen gehalten haben und nach wie vor halten. Sie verdienen einen ÖPNV, der nicht länger als problematisch und sanierungsbedürftig gesehen wird, sondern auf den man stolz sein kann, weil er ein Rückgrat der Gesellschaft und der Wirtschaft ist. Das ist die Wende, die aus Sicht von mobifair notwendig und überfällig ist.
Hier gibt es das Thesenpapier von VDV, BSN und mofair.