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Faire Mobilität – Interview mit Anna Weirich

mobifair: mobifair verfolgt bereits seit Jahren die Arbeit von Faire Mobilität. Schön, dass wir unseren Lesern mit diesem Interview nun einen Einblick in diese Arbeit geben können. Anna was machst du eigentlich, wenn du für die Faire Mobilität im Einsatz bist?

Anna Weirich: Faire Mobilität ist ein Beratungsnetzwerk, welches bundesweit an verschiedenen Orten tätig ist. Unser Auftrag ist es kostenlose, vertrauliche arbeits- und teilweise sozialrechtliche Beratung in mittel- und osteuropäischen Sprachen anzubieten. Wir sind ein Beratungsnetzwerk für EU-Bürger, die in Deutschland arbeiten und Probleme auf dem Arbeitsmarkt haben. Ein starker Schwerpunkt hierbei, aber nicht ausschließlich, ist die Entsendung aus Mittel- und Osteuropa.

Unsere meisten Beratungsfälle erfolgen hierbei in polnischer und rumänischer Sprache. Aber wir bieten auch Beratung in Tschechisch, Kroatisch, Ungarisch und Bulgarisch an.

Faire Mobilität wird politisch getragen vom Deutschen Gewerkschaftsbund und auch mit zehn Prozent über den DGB finanziert. Der Großteil der Finanzierung erfolgt über das Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

Innerhalb dieses Beratungsnetzwerks übernehme ich zwei Aufgabenbereiche mit je einer halben Stelle. Einerseits bin ich Branchenkoordinatorin für den Internationalen Straßentransport, andererseits berate ich Beschäftigte aus verschiedenen Branchen – schwerpunktmäßig auf Rumänisch, teilweise aber auch auf Russisch, Englisch oder Französisch – zu arbeits- und sozialrechtlichen Fragen. 

Welche Branchen sind das?

Hier in Frankfurt haben wir sehr viel mit der Bau- und Gebäudereinigungsbranche zu tun. Wenn die entsprechende Saison ist, haben wir auch Fälle aus der Landwirtschaftsbranche, meist aus der Spargel- und Erdbeerernte. Wir beschäftigen uns aber auch mit der Kurier-, Paket- und Expressbranche sowie der häuslichen Betreuung, der sogenannten 24-Stunden-Pflege. 

Zudem bin ich zusammen mit meinem Kollegen Michael Wahl als Branchenkoordinatorin für den internationalen Straßentransport tätig. Hier kümmern wir uns unter anderem um die Fortbildung der Berater:innen und koordinieren regelmäßige Aktionen, um gezielt mit den Beschäftigten im Internationalen Straßentransport in Kontakt zu kommen.

Beispielsweise auf Rast- und Parkplätzen, wie im Mai 2022, als wir euch bei entsprechenden Aktionen an der Raststätte Lichtendorf-Nord sowie im Umfeld von Ikea- und Amazon-Logistikzentren begleiten durften?

Genau. Im Schnitt sind Berater:innen der Fairen Mobilität circa fünfzig Mal im Jahr bei solchen Aktionen im Einsatz. Hierbei gehen wir in der Regel nachmittags auf die Rast- und Parkplätze. 

Warum zu dieser Zeit?

Die Erklärung ist ganz einfach. Die LKW-Fahrenden beginnen dann, sich einen Parkplatz für ihre tägliche Ruhezeit zu suchen und so können wir sie dann besser antreffen. Ein Standardzitat unter LKW-Fahrenden ist: „Ab 18:00 Uhr – wenn du dann noch nicht stehst, findest du keinen Parkplatz mehr in Deutschland.“ Teilweise gehen wir aber auch am Wochenende auf die Rastplätze und versuchen dann in kleinen, gemischtsprachigen Teams von LKW zu LKW zu gehen, um mit den Fahrenden ins Gespräch zu kommen. 

„Ab 18:00 Uhr – wenn du dann noch nicht stehst, findest du keinen Parkplatz mehr in Deutschland.“

Worin liegt euer Schwerpunkt bei diesen Gesprächen?

Der Schwerpunkt unserer Gespräche ist, dass wir die Fahrenden überzeugen wollen, dass eine sehr, sehr gute Dokumentation ihrer Arbeitsrealität, die sich aus verschiedenen Elementen zusammensetzt, für sie sinnvoll und wichtig ist. Im Bereich LKW gibt es total viele Dokumente und Ähnliches, mit denen man Sachen nachweisen und somit Druck auf den Arbeitgeber ausüben kann. 

Kannst du unseren Lesern verraten, welche Dokumente bzw. Dinge eure Arbeit hierbei erleichtern?

Das Wichtigste sind die Daten von der Fahrerkarte. Jeder Fahrende hat eine Chipkarte, die er an den Tacho schiebt, damit seine Arbeitszeiten aufgezeichnet werden können. Diese Karte hat jedoch einen sehr begrenzten Speicher, so dass nach circa acht bis zehn Monaten, die ältesten Daten überschrieben werden. Da der Anspruch auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns jedoch einer dreijährigen Verjährungsfrist unterliegt, empfehlen wir den Fahrenden in unseren Gesprächen, zwei bis drei Mal im Jahr ihre Daten runterzuladen und regelmäßig zu speichern. Ein weiterer wichtiger Umstand ist, dass LKW-Fahrende die Tendenz haben, so viele Pausen wie möglich im Tacho einzugeben. Hintergrund ist, dass Arbeitgeber häufig Druck ausüben, dass LKW-Fahrer wenig „sonstige Arbeiten“ registrieren sollen. Allerdings kann für Pausenzeiten kein Mindestlohn eingefordert werden. Und so ein üblicher Arbeitstag eines LKW-Fahrenden beträgt dreizehn bis fünfzehn Stunden. Nämlich so viel, bis sie ihre tägliche Ruhezeit einlegen müssen. Das ist das, was ihren Arbeitstag bestimmt. Einmal im Verlauf von vierundzwanzig Stunden müssen sie ihre elfstündige Ruhezeit einlegen, wobei die Ruhezeit drei Mal die Woche auf neun Stunden verkürzt werden kann. Der sich daraus ergebende Arbeitstag in Höhe von dreizehn bis fünfzehn Stunden findet sich aber eben nicht im Tacho wieder. Der Tacho protestiert nämlich, wenn der Fahrende mehr als zehn Stunden arbeitet, zu spät die Pause einlegt oder mehr als neun Stunden, bzw. zehn Stunden – nur maximal zwei Mal pro Woche zulässig – den LKW lenkt. 

„Der Arbeitstag in Höhe von dreizehn bis fünfzehn Stunden findet sich aber eben nicht im Tacho wieder.“

All dies führt dazu, dass wir auf den meisten Tachodaten lediglich die automatisch aufgezeichneten Lenkzeiten sehen. Ganz wenige sonstige Arbeiten und nie die tatsächlich massiv anfallenden Bereitschaftszeiten. Für den Fall, dass Fahrende den ihnen tatsächlich zustehenden Lohn einfordern, müssten sie diese Zeiten jedoch nachweisen können. Ohne die vorhin angesprochene Dokumentation ist das jedoch nahezu unmöglich und die vielen vergütungsrelevanten Stunden würden einfach verloren gehen. In unseren Beratungsfällen sehen wir dann auch öfter enttäuschte Gesichter, wenn wir den jeweiligen Mindestlohnanspruch ausrechnen und dieser wegen der nicht dokumentierten Arbeitszeiten, oder sogar fälschlich als „Pause“ deklarierten Tätigkeiten, niedriger ausfällt, als vom Fahrenden erwartet. Deswegen versuchen wir Berater:innen von Faire Mobilität, die Fahrenden zu einem Perspektivwechsel zu bewegen und zu erklären, welche Konsequenzen es hat, wenn sie die tatsächlich anfallenden Arbeitszeiten eben nicht dokumentieren.

Welche weiteren Ratschläge könnt ihr den Fahrenden geben?

Neben dem korrekten Einpflegen der Tachodaten empfehlen wir in unseren Beratungen, auch die Daten der Frachtpapiere nachhaltig zu erfassen. Die Frachtpapiere weisen die Auftragsbeziehungen nach und ermöglichen so die Verbindung zum Auftraggeber herzustellen. Im LKW-Bereich haben wir es mit häufigen Untervergaben zu tun. Alle Glieder in dieser Kette haben eine Verantwortung für den Lohn und die Arbeitsbedingungen der Fahrenden, aber dies wird bei Beschwerden von den Unternehmen oft erstmal geleugnet, deswegen muss das detailliert nachgewiesen werden. Besonders interessant ist das, wenn ein LKW-Fahrer bei einem Frachtführer aus dem Ausland (in der Regel einem Land, in dem die Löhne geringer sind als in Deutschland) unter Vertrag ist, aber regelmäßig in Deutschland fährt. Oftmals ist hier nämlich schon das nächste Glied in der Auftragskette ein regelmäßiger Auftraggeber aus Deutschland. Dies wiederum erleichtert dann den Nachweis, dass der deutsche Mindestlohn gezahlt werden müsste. Bei regelmäßigen Verstößen dienen die Frachtpapiere aber auch als Belege, um sich wegen der auftraggeberseitigen Verletzung der Sorgfaltspflichten zu beschweren. 

Aber unabhängig von den Daten, die aus den Frachtpapieren hervorgehen, raten wir den Fahrenden zur generellen Schriftlichkeit. Ein Beispiel ist, dass viele Fahrer in den Beratungen berichten, dass sie am Handy von ihrer Firma unter Druck gesetzt werden, länger als gesetzlich erlaubt zu fahren. Hier empfehlen wir den Betroffenen eine Nachricht an ihre Firma zu schreiben, in der sie nachfragen, ob sie das am Telefon Gehörte richtig verstanden haben, um auf diesem Wege Beweise dafür zu sammeln. Zu diesem und weiteren Sachverhalten haben wir auch einen Flyer in zehn verschiedenen Sprachen für die Fahrenden erstellt, der Flyer kann hier heruntergeladen werden kann.

Liebe Anna, eine letzte Frage und damit würde ich das Interview auch beenden wollen: Mal angenommen, eine gute Fee würde dir bei deinem nächsten Einsatz auf einem Rastplatz die Tür zur Fahrerkabine öffnen, um dir mitzuteilen, dass dir ein Wunsch zustehen würde, um die Situation der LKW-Fahrenden ad hoc zu verbessern. Was würdest du dir wünschen?

In einer Branche mit so vielen Problemen reicht leider ein Feenwunsch nicht aus. Aber als erstes würde ich mir von der Fee eine Kombination aus einem fairen Facharbeiter-Lohn wünschen und Arbeit- und Auftraggeber, die wirklich Verantwortung übernehmen, anstatt sich immer wieder auf eine nicht zulässige Beweislastumkehr zu berufen.

„Fahrer werden am Handy von ihrer Firma unter Druck gesetzt.“

Anna Weirich und Manuel Poblotzki

 

 Weiterführende Literatur zum Thema

Faire Mobilität

Faire Mobilität hilft, gerechte Löhne und faire Arbeitsbedingungen für Beschäftigte aus den mittel- und osteuropäischen EU-Staaten auf dem deutschen Arbeitsmarkt durchzusetzen. Die politische Verantwortung für Faire Mobilität liegt beim DGB-Bundesvorstand.

Faire Mobilität startete 2011 als gewerkschaftsnahes Projekt, in dessen Rahmen schrittweise Beratungsstandorte aufgebaut wurden, wo mobile Beschäftigte in ihren Herkunftssprachen arbeitsrechtlich und sozialrechtlich informiert, beraten und unterstützt werden.

Inzwischen arbeitet Faire Mobilität an 13 Standorten. Dort kooperieren die Mitarbeiter*innen mit den Gewerkschaften und Beratungsstellen regionaler Träger. Sie sind Teil eines bundesweit agierenden Netzwerkes zur arbeitsrechtlichen Beratung von EU-Bürger*innen.

Seit August 2020 hat der DGB einen gesetzlichen Anspruch auf Finanzmittel aus dem Bundeshaushalt, um Faire Mobilität weiterführen und ausbauen zu können.

Quelle: https://www.faire-mobilitaet.de