Wie funktionieren Verkehrsausschreibungen bei unseren Nachbarn in den Niederlanden und welche Rolle spielen dabei Lohn- und Sozialstandards? Diesen Fragen ist mobifair in einem Workshop in Utrecht nachgegangen, an dem Gewerkschafts- und Unternehmensvertreter*innen teilgenommen haben.
Personalmangel, Rekrutierung im Ausland, hohe Arbeitsbelastung, Druck auf die Arbeitsbedingungen, ein ansteigender Krankenstand und gekürzte Verkehrsleistungen. Die Situationsbeschreibung der Kollegen von der niederländischen Gewerkschaft FNV klingt vertraut. Grundsätzlich gilt natürlich auch in den Niederlanden die EU-Verordnung 1370/2007, die vieles im Bereich öffentlicher Verkehrsvergaben regelt. Durch nationale Gesetzgebung gibt es aber einige interessante Unterschiede zu Deutschland: So müssen Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen im Laufe des Vergabeverfahrens die Öffentlichkeit, wie z.B. die Fahrgäste, einbeziehen, etwa hinsichtlich neuer Fahrpläne.
Personalübergang bei Betreiberwechsel
Aus deutscher Beschäftigtensicht besonders interessant ist die Regelung, dass einen Monat nach der Vergabeentscheidung Alt- und Neubetreiber sowie die Gewerkschaft miteinander verhandeln müssen und dabei die Details der Personalübernahme regeln, u.a. zu Renten-, Urlaubs- und Dienstkleidungsregelungen. Grundsätzlich führt ein Betreiberwechsel zu einem Betriebsübergang unter Übernahme der bisherigen Tarifverträge. Direkt betroffene Beschäftigte erhalten vom Neubetreiber ein Übernahmeangebot, was nahezu alle Tätigkeitsgruppen einschließt bis auf die Verwaltung, die oft nicht direkt einer Konzession zugeordnet werden kann.
Es gibt drei Sektorentarifverträge: Je einen für Schiene, Straße und gemischte Verkehre (Schiene/Bus). Daneben gibt es aber auch noch Haustarifverträge, die Ähnlichkeiten mit Betriebsvereinbarungen in Deutschland haben. Diese sind Gegenstand der verpflichtenden Verhandlungen. In der praktischen Umsetzung gibt es gelegentlich Probleme, z.B. haben die niederländischen Kollegen von einem aktuellen Fall berichtet, in dem das Verfahren, das seit fast einem Jahr läuft, ihrer Wahrnehmung nach einseitig durch den Neubetreiber verzögert wird, weil dieser Teile der Vereinbarungen ablehnt.
Direktvergaben und Wettbewerb
Nicht alle Verkehrsleistungen werden im Wettbewerb vergeben. Das Hauptstreckennetz im Schienenpersonenverkehr wurde bis 2033 direkt an die niederländische Staatsbahn (Nederlandse Spoorwegen, NS) vergeben. In den Provinzen werden aber lokale und regionale Verkehre auf Schiene, Straße und Wasser ausgeschrieben. Man spricht dabei von Konzessionen, die sich auf ein Gebiet beziehen, von denen es 33 gibt. Derzeit läuft allerdings eine Initiative des Parlaments, damit künftig auch in den Provinzen Direktvergaben an einen internen Betreiber möglich werden. Aktuell geht das nur bei den Stadtverkehren von Amsterdam, Rotterdam und Den Haag. Hintergrund ist, dass die Bewerberzahlen stark gesunken sind und sich teilweise, wie derzeit in Zeeland, gar kein Interessent für eine Konzession findet, weil sich diese oftmals kaum rechnen. Die Finanzierung der Verkehre wird – anders als in Deutschland – nicht komplett vom Aufgabenträger übernommen. Dessen Anteil liegt oft nur bei 50%, hinzu kommen Zuschüsse für Schülerverkehre, der Rest muss durch Fahrkartenverkäufe erwirtschaftet werden.
Im Busbereich verfügen derzeit Arriva, EBS, Keolis, Qbuzz und Connexxion sowie stadteigene Unternehmen in Amsterdam, Rotterdam und Den Haag über Konzessionen. Die regionalen Eisenbahnlinienkonzessionen liegen bei NS, Arriva, Qbuzz, Connexxion und Keolis. Ein großer Teil der Unternehmen gehört damit – wie in Deutschland –ausländischen öffentlichen Eigentümern. Qbuzz gehört zur italienischen, Keolis zur französischen Staatsbahn, Connexxion zu Transdev.
Gemeinsame Erkenntnisse
Für die Kollegen aus den Niederlanden sind die Ziele für die Zukunft klar und decken sich mit denen der Beschäftigten in Deutschland: Sie wollen ihre Arbeit gut machen (können) und die Fahrgäste zufrieden stellen. Daher sollte der Wettbewerb sich danach richten, welches Unternehmen den besten Service und die beste Qualität bietet, die meisten zufriedenen Fahrgäste transportiert und die höchsten Bewertungen von Fahrgästen und Beschäftigten erhält, nicht der mit dem niedrigsten Angebotspreis. Das wurde ihrer Meinung nach mit dem bisherigen Wettbewerb nicht erreicht.
mobifair sagt „hartelijk bedankt!“ an alle Teilnehmer*innen für einen sehr spannenden und interessanten Austausch. Im Oktober wird dann das italienische Modell näher unter die Lupe genommen, nachdem 2022 bereits Dänemark und Schweden untersucht wurden.