Unter dem Titel „Öffentlicher Auftrag? Nur mit Tarif! Countdown zum Bundestariftreuegesetz“ haben sich bei der sechsten Vergabetagung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) Experten aus verschiedensten Branchen und der Politik ausgetauscht. Neben dem geplanten Bundestariftreuegesetz standen auch Möglichkeiten zur Stärkung der immer mehr abnehmenden Tarifbindung und Erfahrungen mit dem Kriterium der Tariftreue auf kommunaler Ebene auf der Tagesordnung. mobifair war wieder dabei.
Aktueller Stand Bundestariftreuegesetz
Stefan Körzell, Mitglied des Geschäftsführenden DGB-Bundesvorstands, zeigte sich in seiner Begrüßungsrede erfreut über den ersten Entwurf für ein Bundestariftreuegesetz. Er betonte zugleich die große Bedeutung von Tariftreue und -Bindung für einen Wettbewerb unter gleichen Ausgangsbedingungen und die Fachkräftesicherung. Der Entwurf sei eine gute Diskussionsgrundlage, müsse aber an einigen Stellen noch nachgebessert werden – eine Einschätzung, die wohl die Meisten im Publikum teilten, Christian Gebhardt von mobifair eingeschlossen.
Für das Bundesminsterium für Arbeit und Soziales (BMAS) gab Nermin Fazlic, Leiter der Abteilung Grundsatzfragen, einen Überblick über den aktuellen Stand des Bundestariftreuegesetzes. Er betonte, dass es sich bei dem kürzlich öffentlich gewordenen Papier um einen internen Arbeitsentwurf und eine bereits schon wieder veraltete Momentaufnahme handele. Viele Punkte des „Schutzgesetzes für Arbeitnehmer“ und „Flaggschiffs des Tarifpakets“ seien noch in Bearbeitung. In der anschließenden Podiumsdiskussion und Fragerunde wurden viele konkrete Fragen zum Entwurf gestellt. Die Antworten ließen darauf schließen, dass insb. bei den Themen Anwendungsbereich, Kontrollen, Subunternehmereinsatz und Nachweispflichten tatsächlich noch einiges ungeklärt ist. Auf den „durchgesickerten“ ersten Entwurf geht mobifair in einem eigenen Artikel näher ein.
Weiter abnehmende Tarifbindung
Zum Thema Tarifbindung in Deutschland gab Dr. Malte Lübker, Leiter des Referats für Tarif- und Einkommensanalysen im Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, einen beunruhigenden Überblick: Zwischen den Jahren 2000 und 2021 ist die Tarifbindung unter den Beschäftigten von 68 auf 52 % zurück gegangen. Bei den Betrieben von 44 auf 25%. Deutschland liegt damit innerhalb der EU nur im Mittelfeld. Es gibt zudem große Unterschiede zwischen den Bundesländern, v.a. zwischen Ost und West, und zwischen den Branchen – die Spanne reicht von 22 bis 98%. Die Verkehrsbranche insgesamt liegt bei 46%. Für die Beschäftigten heißt fehlende Tarifbindung in der Regel weniger Einkommen und schlechtere Arbeitsbedingungen. Konkret verdienen Beschäftigte ohne Tarifvertrag im Schnitt knapp 11 Prozent weniger und müssen wöchentlich fast eine Stunde mehr arbeiten, so das Ergebnis einer aktuellen Studie des WSI. Nötige Maßnahmen zur von der Europäischen Mindestlohnrichtlinie geforderten Erhöhung der Tarifabdeckung von 80% wären unter anderem: Erleichterungen, um Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären, mehr und umfassendere Tariftreuegesetze und ein digitales Zugangsrecht für Gewerkschaften zu den Betrieben.
Bei einer Diskussionsrunde mit Bundestagsabgeordneten herrschte Einigkeit darüber, dass die Tarifbindung wieder höher werden muss. Allerdings zeigte sich auch, dass bei der weiteren Bearbeitung des Bundestariftreuegesetzes mit dem Versuch einer Verwässerung durch die FDP zu rechnen ist. So brachte der FDP-Abgeordnete Carl-Julius Cronenberg das altbekannte Rüffert-Urteil zur Sprache, das aus seiner Sicht noch nicht ganz aus der Welt sei. Ghazaleh Nazibi (IG BAU) erläuterte daraufhin ausführlich, dass sich die rechtliche Situation seitdem grundlegend verändert hätte und dies auch von der jüngeren Rechtsprechung bestätigt sei. Es handele sich nicht mehr um „eine rechtliche Frage, sondern nur noch um eine der Ideologie“. Dies sieht mobifair genauso und fordert, das Argument mit dem Rüffert-Urteil endlich in die Mottenkiste zu packen, wo es hingehört.
Fachdiskussionen
In einer Fachdiskussion am Nachmittag ging es abschließend um die Praxiserfahrungen in bayerischen Kommunen mit dem Kriterium der Tariftreue. In einer parallel stattfindenden Fachdiskussion erläuterte Prof. Dr. Wolfhard Kohte die Hintergründe vergaberechtlicher Aspekte im Zusammenhang mit dem Bundestariftreuegesetz.